Der Begriff „contemplativus in actione“ (Kontemplation in Aktion) wurde erstmalig vom Spanier Hieronymus Nadal SJ (1507-1580) geprägt als prägnante Beschreibung der Spiritualität und das Charisma der Gesellschaft Jesu, also des Jesuitenordens. Er ist ein Gegenentwurf der beschaulichen Lebensweise der Benediktiner, die wir als „ora et labora“ (Beten und Arbeiten) kennen. Die Jesuiten richten ihre Tageszeiten nicht nach dem Stundengebet und den Zeiten der Arbeit aus. Die Gotteserfahrung in Jesus Christus ist Heimat und Quelle. Wohin der Wegbegleiter Jesu auch gesandt wird, dort ist er nach besten Kräften tätig. Die Exerzitien des Jesuitenordens bilden den Kern der ignatianischen Spiritualität. In diesen Exerzitien erkunden die Teilnehmer den eigenen Willen und den Willen Gottes und letztlich führen sie darüber hinaus auch in die mystische Erfahrung. Der bewusste Wille ist die Leitlinie für das Handeln in der Welt. Die Unterschiede zwischen den Charismen der großen Ordensfamilien verdeutlicht der folgende Witz auf humorvolle Weise: „Ein Benediktiner, ein Dominikaner, ein Franziskaner und ein Jesuit sitzen im Zimmer. Plötzlich geht das Licht aus. Der Benediktiner betet unbeirrt sein Stundengebet weiter, denn er kann es auswendig. Der Dominikaner referiert über das Wesen von Licht und Finsternis. Der Franziskaner lobt Gott, der dem Menschen auch die gnädig verhüllende Dunkelheit schenkt. Und der Jesuit geht hinaus und wechselt die Sicherung aus.“
Eine Vertreterin der Kontemplation in Aktion ist die heilige Marte. Der Evangelist Lukas schildert die folgende Begebenheit: „In jener Zeit kam Jesus in ein Dorf, und eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“ (Lk 10, 38-42). Auf den ersten Blick kommt Marta hier nicht so gut weg wie Maria. Sie ist überaktiv und hört lauscht nicht auf die Worte Jesu.
Johannes schildert uns noch eine andere Seite von Marta in der Geschichte von Lazarus. Marta spricht zu Jesus: „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben. Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag. Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“ (Joh 11, 21-27). Die heilige Marta ist damit eine der wenigen Personen in den Evangelien, die Jesus wirklich als den erkennt, wer er ist.
Auch Meister Eckhart ergreift Partei für Marta und glaubt, dass sie tatsächlich weiter ist als Maria und schreibt hierzu: „Wäre der Mensch so in Verzückung, wie‘s Sankt Paulus war, und wüsste einen kranken Menschen, der eines Süppleins von ihm bedürfte, ich erachtete es für weit besser, du ließest aus Liebe von der Verzückung ab und dientest dem Bedürftigen in größerer Liebe.“ (Traktat 2).
„Für Meister Eckhart ist Marta in ihrer tatkräftigen Weisheit fähig, Erkenntnisse in Worte zu fassen, um anderen Zeugnis davon geben zu können, und das geht über die Stufe des Zuhörens hinaus. Am Ende sind „vita contemplativa“ und „vita activa“ keine Gegensätze, sondern wirken als „contemplativus in actione“ zusammen.“ (Pater Christof Wolf, SJ)
Wir wissen sehr wohl, dass das Stundengebet und die Lectio Divina nicht jedermanns bzw. jederfraus Sache ist. Es ist tröstlich zu hören, dass dies anderen auch so geht und dass es auch den Weg der Kontemplation in Aktion gibt, das tatkräftige Handeln wo immer wir hin berufen werden, sei es im Dienst für die Familie, der Arbeit und im Dienst für die Kirche und die Gesellschaft.